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Station 2

Textilindustrie

Strümpfe für den Weltmarkt

Informationspunkte:
- Bronzegedenktafel Sophie Stecker (Haus Weststraße 14); an der Ecke zur Straße 'Paul-Falke-Platz'

- Wohnhaus Weststraße 12: Eingang zur ehemaligen Strickwarenfabrik Sophie Stecker

Lange Tradition der Wollverarbeitung in Schmallenberg
Den Rohstoff Wolle lieferten die einheimischen Schafe; in Heimarbeit wurden dann die Garne gesponnen und verarbeitet. Eine Walkmühle zur Weiterverarbeitung gewobener Wollstoffe gab es bereits 1416 an der Lenne (auf der Lake), eine zweite Walkmühle bestand in Grafschaft. Um 1800 nahm die Herstellung von Wollstrümpfen im Verlagswesen zu. Dabei stellte ein Unternehmer als Verleger den Arbeitern Rohmaterial (Wolle) und z.T. auch Arbeitsinstrumente (Strumpfstühle) zur Verfügung: Die Arbeit wurde dann in Heimarbeit erledigt. Einer der größeren Unternehmer war Stadtrentmeister Caspar Störmann, der 1853 an 44 Strumpfstühlen Heimarbeiter beschäftigte (26 davon in seinem Haus an der Oststrasse 63). Hergestellt wurden sogenannte „Westfalenjacken“ (eine Walkjacke) sowie Metzger- und Schifferjacken, Schals und Strümpfe.

Erste Spinnerei- und Strickereifabriken
Ab 1850 begann das Wachstum der Schmallenberger Wollindustrie. Um von den Lieferungen von Garnen unabhängig zu sein, gründete Störmann mit einem Partner 1851 die Spinnerei-Fabrik Störmann & Bitter in Schmallenberg und produzierte mit einem Selfaktor (Spinnmaschine mit beweglichem Wagen, der die Spindeln trägt) mit 264 Spindeln und 13 Arbeitern Wollgarn. Eine zweite Spinnerei errichteten 1865 Jacob und Daniel Meisenburg auf den Lennewiesen und 1867 gründeten Michael und sein Bruder Simon Stern die dritte Wollgarnspinnerei „Salomon Stern" (benannt nach dem Vater der beiden).
Eine neue Phase der Textilproduktion begann ab 1868. Franz Kayser gründete die erste Strickerei-Fabrik: Erst 1863 war die Lambsche Strickmaschine erfunden worden und die Mechanisierung des Strickens möglich geworden. Die meisten Fabriken (Spinnereien, Färbereien) gliederten nun auch eine Strickerei an. Dabei waren die Geschäftspraktiken nicht immer redlich: Veltins & Wiethoff (die 1870 als ehemalige Mitarbeiter, resp. Verwandte 1870 Störmann & Bitter übernommen hatten) ließen ihre Arbeiter heimlich durch einen Mitarbeiter Kaysers im Umgang mit den Maschinen schulen. 1872 brachten sie die Strickerei in einem Anbau in der Weststraße 13 unter. Auch die Familie Stern baute Ihre Wollgarnspinnerei zur Strickwarenfabrik aus.
Ausschließlich auf Strickerei setzte die 1883 von fünf Geschwistern gegründete Firma Stecker. Die Geschwister arbeiteten in Schichten und verrichteten alle Nebentätigkeiten selber. Hergestellt wurden Netzjacken aus Baumwolle und Wollstrümpfe. Nach dem Tod der ältesten Schwester leitete Sophie Stecker (1864-1957) Firma und Vertrieb. Sie stellte ihre Produkte bei den Kunden unter anderem in Köln selber vor: Für eine Frau in der damaligen Zeit war dies ziemlich ungewöhnlich. Ab 1909 erweiterte sie die Produktpalette erfolgreich um Kinderkleidung.
1895 machte sich der gelernte Dachdecker und Stricker Franz Falke mit zehn Strickmaschinen selbstständig. Knapp 10 Jahre später eröffneten die Falkes 1908 ihre erste Filiale, 1918 kauften sie die Spinnerei Meisenburg. In den 1920er Jahren wurden Niederlassungen in Berlin, Chemnitz, Gelsenkirchen und Bielefeld gegründet.
Die Sterns gründeten Niederlassungen in London (vor 1880), Elberfeld (1903) und Balingen/Württemberg (1920). Von London aus erlangte die Firma Weltmarktgeltung durch Niederlassungen in Manchester (1908), Glasgow (1908), New York (um 1917) sowie Warenlager und Verkaufsagenturen in Kanada, Südafrika, Neuseeland, Australien und Japan.


Sophie Stecker (1864-1957)

Sie reiste als junge Frau in den 1890er Jahren nach Köln und vertrieb ihre Strickwaren selber - für eine Frau damals höchst ungewohnt!

Hier geht es zu ihrem ganz eigenen Kapitel.

Wohnhaus Weststraße 12: ehemalige Strickwarenfabrik Sophie Stecker.


Produktionsschwerpunkt solide Wollware
Die Sauerländer Strumpfindustrie stellte vorwiegend grobe solide Wollware her: Jacken und Socken. Mit diesen derb gestrickten Standardartikeln grenzte sie sich von den feinen Wollprodukten der sächsischen Konkurrenz ab, entsprach der großen Nachfrage aus dem nahen Ruhrgebiet und konnte auf relativ unqualifizierte Arbeitskräfte zurückgreifen. Diese Produktionsweise verschaffte auch immer wieder Heeresaufträge: Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 trugen deutsche Soldaten Störmannsche Jacken und Kaysersche Socken; Stecker produzierte im 1. Weltkrieg Unterjacken, Kopf- und Ohrenschützer; während des 2. Weltkriegs galt die Produktion als kriegswichtig, was auch den Einsatz von Zwangsarbeitern zur Folge hatte.
Die Heimarbeit und das Verlagswesen bestanden bis weit ins 20. Jahrhundert. Um 1960 aber ließen die meisten Firmen in zentralisierten Filialbetrieben arbeiten, wo 15 bis 120 Arbeiterinnen - alles Frauen – simple Tätigkeiten an Maschinen erledigten: Sie fußten die Längen an, schlossen die Strumpfspitzen auf Kettelmaschinen oder nähten Schläuche zusammen. Die Arbeitszeiten veränderten sich enorm: 1900 wurde an 58 Wochenstunden gearbeitet, 1918 die Arbeitszeit auf sechs Tage und 48 Wochenstunden festgelegt. Die 40-Stunden-Woche datiert aus den 1960er Jahren. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Altersgrenze für Berufstätige von 70 auf 65 Jahre gesenkt. Es herrschten zwar patriarchalische Verhältnisse: Gehorsam war selbstverständlich. Der Chef kümmerte sich aber auch um die Arbeiterinnen und Arbeiter und war ständig anwesend. Veltins & Wiethoff waren vor 1914 mit 100 Mitarbeitenden der größte Betrieb Schmallenbergs; Falke expandierte nach dem 1. WK stark und wies in den 1920er Jahren mehrere 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf. Stecker beschäftigte bis 1945 200 Arbeitskräfte, die Sterns bis 1938 120. Daneben waren zahlreiche kleinere Unternehmen tätig.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden weiterhin Strümpfe gefertigt, Berufskleidung und Unistrick-Oberbekleidung (Stern) oder Säuglingswäsche (Stecker). Falke kaufte 1938 im Zuge der "Arisierung" die Firma Stern. Während des Krieges wurde vielfach mit Zwangsarbeitern und Ostarbeiterinnen gearbeitet. Gegen Kriegsende kam die Produktion in den meisten Betrieben zum Erliegen. Bei der Eroberung Schmallenbergs am 7.4.1945 wurde die Fabrik Stecker zerstört; die Fabrik Veltins & Wiethoff von den Amerikanern geschlossen.

Strukturwandel nach 1960
Langsam lief die Produktion wieder an. Unverzagt nahm Sophie Stecker mit ihrem Neffen den Wiederaufbau ihrer Firma in Angriff. Zahlreiche Ostvertriebene fanden Arbeit in den Textilbetrieben. 1950 arbeiteten bereits wieder 1.800 Menschen (davon zwei Drittel Frauen) in den Textilbetrieben der Stadt. In den 1960er Jahren lief die Produktion auf Hochtouren: Gastarbeiterinnen wurden eingestellt. 90% der Schmallenberger Arbeitsplätze waren direkt oder indirekt von der Textilindustrie abhängig. Falke wurde zum größten Arbeitergeber.
Ende der 1960er Jahre kam die Expansion durch einen verschärften Wettbewerb (Billigimporte aus Fernost), die Auswirkungen der Strukturkrise des Ruhrgebiets und veränderte Gewohnheiten der Verbraucher ins Stocken. 1980 stammten nur noch rund 30 % der Schmallenberger Arbeitsplätze aus der Textilindustrie. Einige der Traditionsfirmen, darunter Veltins & Wiethoff 1974, mussten schließen, andere verlagerten die Produktion in Billiglohnländer, schlossen Filialen oder erweiterten die Kollektion. Falke konnte sich mit Produktionsveränderungen und -verlagerungen erfolgreich am Markt behaupten. Die Firma produzierte seit 1958 Nylon-Strümpfe, stieg 1970 auch in die Herstellung von Sportartikeln ein und schuf sich mit Designer-Mode Produktionsnischen und Alleinstellungsmerkmale.



Spinnerei der Firma Veltins & Wiethoff an der Lenne, Aufnahme kurz nach 1900.

Stricksaal bei Veltins & Wiethoff in den frühen 1930er Jahren: Das Anfußen und Konfektionieren der Strümpfe war fast ausschließlich Frauenarbeit.

Die Disposition der Firma Stern um 1930: Hier wurden die Ware sortiert und Auträge entgegengenommen.


Fabrikationshalle der Firma Stern: Über die Transmissionswelle oben an der Längsseite der Halle wurden die Maschinen angetrieben, um 1930.

Franz Falke-Rohen jun. (1885-1951): Er übernahm die Firma von seinem Vater und prägte die weitere Entwicklung des Unternehmens maßgeblich. Er war auch langjähriger Bürgermeister in Schmallenberg.

Falke übernahm 1958 die Feinstrumpfwerke Uhli.


Falke behauptete sich mit innovativer Werbung und der Ausweitung des Produktportfolios erfolgreich am Markt: Werbemotiv RUN in den 1990er Jahren.

Historische Strickmaschine von der Firma Falke im Museum Holthausen.

Bis 1959 wurden im Sauerland Handschuhe auf den traditionellen Lambschen Strickmaschinen gefertigt.


Was gibt es hier noch zu entdecken?

Mit einem Blick über den Schützenplatz...


Das alte Schützenzelt von 1900.

Schützenzelt um 1930 mit Hofstaat.

Eine alte Postkarte zeigt Schmallenberg im Jahre 1905 mit dem Schützenzelt von 1900.

Der Schützenplatz in den 1960er Jahren.


Sophie Stecker

1864 - 1957


Sophie Stecker war die jüngste von sechs Kindern einer alteingesessenen Schmallenberger Bürgerfamilie. Ihre ältere Schwester Therese Stecker ließ sich 1870/71 in Köln als Strickerin anlernen und bildete anschließend in Biedenkopf selber Arbeiterinnen aus. Seit 1883 stellte die Familie Stecker im elterlichen Hause an der Weststraße 14 im Schichtbetrieb Netzjacken aus Baumwolle und Wollstrümpfe her, die im Rheinland und in Westfalen abgesetzt wurden. Trotz allen Fleißes waren die Geldmittel knapp, so dass man auf Lohn arbeitete, bis die erste eigene Maschine vom Mund abgespart und für die Strümpfe ein Großhändler gefunden war.  Sophie arbeitete selber als Vorarbeiterin in auswärtigen Strickereien und sparte Geld an, um zwei gebrauchte Strickmaschinen zu erwerben, die sie zum Familienbetrieb beisteuerte.
Sophie Stecker reiste in den 1890er Jahren nach Köln und vertrieb ihre Strickwaren selber, was für eine Frau damals sehr ungewohnt war.  1903 richtete die Firma Stecker ein eigenes Produktionsgebäude in der Weststraße 12 ein. Am 12. Mai 1906 wurde die Firma handelsgerichtlich auf Sophie Stecker eingetragen – nach dem Tode der Schwester Therese leitete Sophie die Firma.
1909 stellte sie Motorstrickmaschinen auf und bis 1913 waren alle Handstrickmaschinen durch Motormaschinen ersetzt. Ab 1927 schuf sie sich mit der Umstellung auf Babywäsche und Kleinkinderkleidung einen erfolgversprechenden Sektor. Junge Frauen gingen am liebsten zu Sophie Stecker zur Arbeit: Dort herrschte eine angenehme Atmosphäre und es wurde Babywäsche hergestellt.  
In den letzten Kriegstagen 1945 wurde die Fabrik zerstört; unverzagt ließ Sophie Stecker die Fabrik bis 1953 in modernem Stil wiederaufbauen. Zum 90. Geburtstag 1954 wurde Sophie Stecker Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt: Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, Schmallenberg zu einer textilindustriellen Stadt zu machen.
 

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